I: Maggie Thatched Biologists
Der Überverbrauch unserer Naturressourcen ist die Folge eines biologischen Programms, nach dem wir alle funktionieren. Was um Gottes willen sollen wir tun?
So richtig begann es erst 1988, mit einem taktischen Spielchen. Die alte Maggie Thatcher wollte daheim die Macht der englischen Kohlegewerkschaft brechen. Daher bezeichnete sie international den Klimawandel als die größte Herausforderung der Menschheit. So verhalf sie dem Problem zu Prominenz, von dessen Lösung wir heute, dreieinhalb Jahrzehnte später, de facto mehr denn je entfernt sind. Wie viel Ironie die Geschichte doch bereit hält: Völlig unfreiwillig war Thatcher ihrer Zeit um Längen voraus.
Warum scheitern wir? Es gibt viele Gründe dafür, wirtschaftliche und politische. Doch ein bereits 2010 auf Norwegisch erschienenes Buch schürft besonders tief. Die beiden Biologen Terje Bongard und Eivin Røskaft machen darin unsere Verhaltensbiologie für die Misere verantwortlich. Sie begründen dies vom ersten Einzeller bis zum Homo sapiens. Und es entsteht der schlimme Verdacht, dass wir das Riesenproblem des Klimawandels kaum meistern werden, wenn wir nicht verstehen, welche Rolle die Humanbiologie für uns hier spielt. Det biologiske menneske (Der biologische Mensch) heißt denn auch das Buch der beiden Wissenschaftler (Trondheim 2010). Auf Deutsch liegt es immer noch nicht vor. Daher hier ein Blitzkurs:
Sobald wir ums Überleben nicht mehr fürchten müssen, sagen die beiden, beschäftigt uns tagaus, tagein die Frage: Wer sind wir in den Augen der anderen, derjenigen, zu denen wir gehören wollen? Welchen Status messen diese uns zu? Für diese Frage gibt es einen sehr einfachen, biologischen Grund: Nur wer in den Augen anderer gut dasteht, ist attraktiv und kann sich entsprechend vermehren! Der Wettbewerb um Status ist daher bei allen in Gruppen lebenden Tieren ein fester Bestandteil ihres Daseins. So auch beim Menschen.
Denn auch wir sind den Gesetzen der Evolution unterworfen. Der Wettbewerb um Status/eine angemessene Position treibt die Selektion voran. Unter Selektion verstehen wir die Auswahl derer, die sich letztlich vermehren dürfen - das sind nämlich nie alle. Selektion wiederum sichert qualitative Vermehrung. Dieser Wettlauf um Positionen prägt daher unser gesamtes Handeln, wie das Hintergrundprogramm eines Computers. Ständig wollen auch wir einen bestimmten Status, ihn erhalten oder erhöhen. Weil aber für uns Menschen die jeweilige Position im Sozialgefüge immer auch durch Wirtschaften, das in materiellen Besitz mündet, entsteht, dreht sich das wirtschaftliche Rad um so schneller, je mehr an diesem Wettbewerb teilnehmen.
Das ist eigentlich banal. Aber es ist auch fatal. Denn dieses Rad kann nicht zurückgedreht werden. Die allermeisten von uns wollen ihren jeweiligen materiellen Status wenn nicht mehren, so doch wenigstens erhalten. Allerdings nicht - und das ist sehr wichtig - weil sie so materialistisch wären, dass sie ohne dieses oder jenes Ding nicht auskämen. Sondern weil sie ohne die Beachtung nicht auskommen, die dieses oder jenes Ding ihnen in ihren Augen in den Augen der anderen verleiht. Ohne Beachtung kommen wir – biologisch gesehen – nicht aus, weil sich nicht vermehren kann, wer nicht beachtet wird. Und selbst, wenn uns die Vermehrung egal wäre, gilt: Wer nicht beachtet wird, bleibt allein. Wer lebt schon gern als Eremit?
Beobachten Sie den skizzierten Mechanismus doch selber! Betrachten Sie sich und die Menschen um Sie herum einmal konsequent durch diese Status-Brille! Registrieren Sie bewusst, wie viel dessen, was wir sagen und tun, darauf abzielt, uns Beachtung zu erhalten oder zu verschaffen, also unsere jeweilige Position im Sozialgefüge entweder zu stabilisieren oder zu erhöhen. Das Ergebnis wird Sie verblüffen, wenn Sie nicht selbst schon die Beobachtung gemacht haben. Aber wenn Sie sie gemacht haben, haben Sie auch darüber nachgedacht, was die für unser wirtschaftliches Verhalten bedeutet?
Schon im Supermarkt spielen Status-Impulse mit, ohne dass Sie es merken. Klar, das spontane Eis, das Schokolädchen, ein guter Wein schmecken auch, wenn Sie allein sind. Aber um wie viel höher ist der Genuss, wenn er zu zweit stattfindet! Wie sehr steigt der Wert all des Krams, den wir kaufen, wenn Sie zu jemandem sagen können: "Guck mal, was ich neu habe!" Wie viel mehr als jeder essen kann stellen Sie auf den Tisch, wenn Sie Gäste haben. Und umgekehrt: Wie viel weniger würden Sie kaufen, wenn Sie mutterseelenallein wären! Nicht nur Sie, übrigens. Ich auch. Warum bloß macht uns die Kauferei so viel Freude?
Eis, gewöhnliche Lebensmittel, eine Flasche Wein als Symbole unserer gesellschaftlichen Position, als Statussymbole? Nicht nur, aber eben auch, in erheblichem Maß. Wir kaufen, besitzen und verbrauchen in etwa so viel wie all die, denen wir uns zurechnen. Denn wer wir sind, zeigen wir nun einmal auch durch die Dinge, mit denen wir uns umgeben, wie wir uns kleiden, durch das, was wir essen, was wir trinken, durch das, wofür wir Geld ausgeben. Kaum jemand kann auf die Beachtung anderer verzichten. Daher kann auch kaum jemand auf diese Signale verzichten. Das würde soziale Isolation bedeuten.
Nun, das ist ja eigentlich gar nicht neu. In jeder Werbeagentur weiß man das. Aber wer fragt sich, was dieser soziale Mechanismus ökologisch bedeutet? Wenn doch die reichen Länder ihren materiellen Verbrauch massiv reduzieren müssten, damit der Globus für alle bewohnbar bleibt - die materiell so reichen Bewohner sich das sozial aber gar nicht leisten können?
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Dessen nicht genug! Am liebsten kaufen wir alle nämlich ein bisschen mehr, wenn wir können, mehr als wir brauchen. Wir alle mögen es ja, etwas übrig zu haben, verschwenden zu dürfen, ein bisschen hier, ein bisschen dort, so wie wir es uns wirtschaftlich leisten können, und wir suchen uns die Anlässe dafür. Aber nicht, es sei nochmals gesagt, weil wir alle so bequem, so habgierig oder so genusssüchtig wären - das ist eben das so weit verbreitete Missverständnis. Sondern, weil wir durch Verschwendung Beachtung erwerben, die unsere Position im Sozialgefüge, unseren Status, entweder erhält oder erhöht.
Wer verschwendet, wird nämlich gesehen. Wer sich in einer gedachten Gruppe von Menschen, in der alle dasselbe haben, etwas Neues kauft, kann damit rechnen, Aufmerksamkeit zu erregen. Und wer sich dieses Neue dann ebenfalls kauft, auf den wird man auch aufmerksam. Diese Aufmerksamkeit, die tut gut. Das Neue, das mag nützlich sein oder auch nur den Lebensgenuss erhöhen, sicher, aber darauf kommt es primär nicht an. Materiell waren wir nämlich auch vorher schon ziemlich zufrieden. Aber Beachtung können wir nicht genug bekommen, was biologisch und sozial gesehen ja höchst sinnvoll ist.
Wohin es aber führt, wenn in einer hochindustrialisierten Welt von 8 Milliarden Menschen nur ein Achtel sich Beachtung kaufen kann und das auch täglich tut, das können wir mittlerweile an ständig häufigeren Wetterextremen, an der Plastikvermüllung der Meere, an der Versiegelung der Landwirtschaftsflächen, am bald eisfreien Nordpol, am beginnenden Absterben der Regenwälder studieren. Was, wenn die anderen sieben Achtel nachkommen? Dieses Rad dreht sich ja schneller und schneller, logischerweise! Die vergangenen drei Jahrzehnte belegen klar: Wissen um Konsequenzen allein hilft uns nicht!
Denn zwar ist grünes Denken nominell in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Aber realiter sieht das so aus, dass, wer auf sich hält, mit seinem verbrauchsoptimierten Porsche zum Bioladen fahren will und das auch tut, wenn er kann. In schönster Übereinstimmung mit dem Selektionsgesetz: Guckt mal, ich bin nicht nur so reich, dass ich mir die Verschwendung für den Porsche leisten kann! Nein, ich verschwende auch noch für die Umwelt ... - bei Edekaldi könnt' ich alles ja viel billiger haben ... (Meine Damen), ich bitte um Aufmerksamkeit, seht, seht her ...
Es geht in Sachen Mitwelt also primär nicht um fehlende Moral bei Porschefahrern oder ihresgleichen. Nach Papst Franziskus' Umwelt-Enzyklika Laudato si ist es vielleicht wichtig, das zu betonen. Primär geht es um eine bisher unverstandene biologische Gesetzmäßigkeit, nach der auch die Gattung Homo sapiens funktioniert. Primär ist die Verschwendung (für ein Auto, ein Haus, ein Schmuckstück, für Essen und Trinken usw.), dieses Riesenproblem der Menschheit, diese Wurzel aller ökologischen und auch sozialen Übel, keine Frage unserer Moral, sondern unserer Biologie. Jeder von uns verschwendet, auf seine Weise, je nach dem, wozu er die Möglichkeit hat. Und sie ist auch überall und für jeden beobachtbar in der Natur, die Verschwendung. Wer hätte sie nicht bestaunt, wenn Flora und Fauna ihre Pracht entfalten; dabei verschwenden wir Menschen ebenso wie sie. Warum? Weil auch wir Natur sind, natürlich.
Doch wie Mutter Natur ihren Homo sapiens dabei zum Narren hält! Der Schaden, den das Selektionsgesetz beim Menschen ökologisch und sozial hervorruft, ist dramatisch. Sozial kennen wir ihn seit Ewigkeiten, ökologisch immerhin seit Jahrzehnten. Trotzdem sind wir von Lösungen meilenweit entfernt, weil bisher kaum jemand versteht, welche Posse unsere Soziobiologie mit uns treibt. Was auch immer man auf Klimagipfeln beschlossen hat: Dieses Spiel geht immer weiter. Status brauchen wir. Verschwenden müssen wir. Aus diesem Problem können wir uns nicht heraustechnologisieren. Unsere Biologie ändern wir nicht!
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Was also sollen wir tun? Die Flinte ins Korn werfen?
Wir können Wirtschaftskonzepte ersinnen, die dieses ewige Bedürfnis nach Status und dessen materiellen Ausdruck zuerst mildern - und irgendwann trennen. Findige Köpfe sind dabei, das zu tun. Denken auch Sie nach, mit und vor! Unsere Position im Sozialgefüge können wir auf sehr viel mehr Weisen erringen als nur materiell. Anders verschwenden, anders konkurrieren müssen wir lernen, und zwar mehrheitlich und sehr bald. Denn wenn die meisten Männer dieser Welt Status für alle menschliche Zukunft durch einen prangenden Porsche demonstrieren wollen sollten (und die meisten Frauen das doch irgendwo cool finden), dann wird es für uns immer enger in dieser Welt, immer enger, immer enger, immer e...
Darum schrieb Bøttker seinen Weichensteller. Bei aller Polarisierung denkt das Buch Lösungen an. Es kommt als immer noch brandaktueller Politkrimi daher und entpuppt sich für den, der genau liest, als sehr viel weitergehend. Die Lösungsansätze wollen diskutiert sein. Weitere müssen hinzukommen. Darum präsentieren bereits Dr. Bongard und Prof. Røskaft Vorschläge, ausführlich begründet. Doch die Jahre ziehen dahin, ohne dass Weiterführendes geschieht - auch weil deutschsprachige Verlage sich nicht für zwei unbekannte Wissenschaftler aus einem kleinen Land im Norden interessierten. Ob sich das irgendwann ändert?
Markus Maria Sorge (März 2015, aktualisiert Mai 2023)
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Weichensteller, Print & Kindle:
Weichensteller, Print & ePub:
Det biologiske menneske, norw. Original:
www.bokkilden.no/SamboWeb/produkt.do?produktId=5347209
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