Mehr Meer?
Schauen Sie einen Augenblick gen Norden. Was tut sich da? Dieser Artikel erschien am 06.05.2015 in der norwegischen Adresseavisen, immerhin älteste Zeitung des Landes. Exklusiv für Sie wurde er hier ins Deutsche übersetzt. Und wenn Sie dann wissen, was die finanzstarken Norweger in "ihrem" Meer vorhaben, stehen Ihnen hoffentlich die Haare zu Berge!
Wir Glückspilze! Wir haben das Meer!
von Prof. Dr. Ing. Ingrid Schjøldberg, Direktorin des Instituts für Marintechnik, Norwegens naturwissenschaftlich-technische Universität (NTNU)
Ich möchte ganz einfach etwas Optimismus verbreiten in Zeiten der Kündingungen und Sparmaßnahmen. Ich möchte Sie mitnehmen nach Atlantis; dieses mythische Land, das unter der Meeresoberfläche verschwand. Dort liegt es, wenn nicht buchstäblich, so doch in Form von Gold, Silber, Kupfer und Zink. Reichliche Ressourcen für Energiegewinnung und variierte Ernährung gibt es auch. Um nicht von Pflanzen und biologischem Material sowohl für die Ernährung als auch für die Medizin zu sprechen. Dies kann die Grundlage bilden für die neue Gesellschaft an der Küste in den Jahren, die auf uns zu kommen.
Am 4. Mai begann die Ocean Week in Trondheim. Die Tagung versammelt um die 300 Teilnehmer aus Forschung, Politik und Wirtschaft. 96 Stunden lang tauchen sie ein in die vielen unerforschten Möglichkeiten, die im Meeresraum liegen.
Neulich entschied die Regierung, die Große Norwegische Kohlenkompanie (Store norske kullkompani) mit 500 Millionen Kronen für Darlehen und den Erwerb von Grund und Boden zu subventionieren. Tauchen wir bei Spitzbergen unter die Meeresoberfläche, liegen dort Mineralien von enormem Wert. Es gibt eine große Nachfrage nach Mineralien in der Welt und andere Länder, z.B. China, machen sich bereit, Mineralien aus dem Meeresboden zu holen.
Norwegen sollte gute technologische und wirtschaftliche Voraussetzungen haben, um dasselbe zu tun. Vieles der Offshore-Technologie, der Unterwassertechnologie und der Robotertechnlologie, die wir entwickelt haben, wird sich auch für den unterseeischen Bergwerkbetrieb nutzen lassen.
Jeder von uns verbraucht jedes Jahr große Mengen Mineralien. Häuser, Autos, Boote, Infrastruktur und Elektronik erfordern enorme Mengen Mineralien. In unseren Meeresgebieten gibt es reichlich Gold, Silber, Kupfer und Zink. Vorsichtige Schätzungen gehen von mehreren Millionen Tonnen aus. Wir können heute noch nicht sagen, wie einfach es ist, diese auf nachhaltige und lohnende Weise herauf zu holen. Wir wissen heute noch nicht, ob die Mineralien von Sand und Gestein auf dem Meeresboden getrennt werden sollen, ob das auf Schiffen oder an Land geschehen soll. Mit zielgerichtetem Einsatz von Mitteln für Forschung und Entwicklung sollte es [aber] absolut möglich sein, in den entsprechenden Gebieten unterseeische Schürfwerke zu etablieren.
Norwegen ist eine Seefahrernation. Die See ist eine kostenlose Infrastruktur für den Transport, welche wir in viel höherem Maß als heute nutzen können, um Waren und Güter zu transportieren. Hafenerweiterungen in unserem Gebiet zeigen den Wunsch danach, einen größeren Anteil des Warentransports auf den Kiel zu bekommen. Die Klimaprobleme fordern, dass wir umweltfreundliche Schiffe entwickeln. Verschmutzung ist eine Bedrohung gegen saubere Nahrung aus dem Meer. Wir sind nun auf dem Weg in eine neue Zeit mit elektrischen und gasgetriebenen Schiffen. Da braucht man Kaianlagen, an denen man Gas und Strom laden kann.
Wir sind auch ein Fischereination. Der Weltbank zufolge werden wir auf dem Globus im Jahre 2024 8 Milliarden Menschen zählen. Fische und Schalentiere sind die am schnellsten wachsende Quelle für Protein. Wir habe eine lange und fruchtbare Küste. Wir können weit mehr Fisch produzieren als heute. Durch Erfindungsreichtum und Kreativität können wir die Meereswirtschaft die ganze Zeit weiter entwickeln. Austern aus dem Stillen Ozean verbreiten sich an der norwegischen Küste. Aus dem Osten kommt die Schneekrabbe. Sind das Möglichkeiten und nicht nur Bedrohungen? Es ist wichtig, Gründer und neue Firmen zu unterstützen.
Norwegen hat auch das größte Vorkommen Europas an Großalgen (Tang und Seegras). Tangmehl nutzt man heute für Nahrungsergänzungsmittel, Zahnpasta und Tierfutter. Norwegen kann Tang und Seegras züchten, reich an Vitaminen, Jod und Kalzium. Direkt aus dem Meer können wir essbare Algen wie Schweinetang, Fingerseegras, Zuckerseegras und Meersalat holen. Es gibt viele Möglichkeiten. (...)
Der Energiebedarf der Welt steigt bis 2030 um 30%. Alle, die auf dem Meer gewesen sind, wissen, dass es dort reichlich Wind und Wellen gibt. Meereswellen enthalten sehr viel Energie. Der Zustrom von Wellenenergie an der norwegischen Küste wird auf 400 Twh pro Normaljahr geschätzt. Trondheim (ca. 170.000 Einw.; Anm. d. Übers.) verbraucht 1,3 Twh. Ein Kraftwerk von einem Quadratkilometer kann 800 Haushalte versorgen. Neue Anlagen können neue Arbeitsplätze schaffen. (...) Technologie und Wissen geben uns Möglichkeiten, die Vielfalt der Natur zu bewahren und nachhaltige Entwicklung zu sichern. Das können wir in Norwegen.
Was gibt es unter dem Eis im Norden und wie beeinflussen die wirtschaftliche Nutzung des Meeres und die Energieproduktion die Umwelt im Meer? In Trondheim haben wir Firmen, die Sensoren für die drahtlose Kommunikation unter Wasser entwickeln, Korrosionsüberwachung und Kartierung des Meeresbodens. Neue Firmen stehen am Start, es gibt Möglichkeiten ...
(...) Wir haben lange Traditionen, um für und mit dem Meer zu leben. Da brauchen wir Visionen, Kreativität und Wissen. Wir brauchen es, den Raum der Möglichkeiten zu sehen, selbst wenn er in und unter der Meeresoberfläche liegt.
Was für Glückspilze wir sind. Wir haben ja das Meer.
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«Aber wir sind Tiere, Harald! Jetzt nicht in irgendeinem ethischen Sinne, sondern unserer ganzen Biologie nach! Schau dich doch um!» Die randlose Brille verstärkte das Funkeln in Eiriks Augen, der ganze Mann sprühte vor Energie: «Weißt du, wie viel Natur wir seit 1950 unter Asphalt und Beton gelegt haben? Hast du das mal auf einer Landkarte verglichen? Mach das, wenn du mal so richtig Angst kriegen willst. Schau dich um, wo wir überall bauen! Immer mehr, immer größer. Man sollte fast meinen, wir verhalten uns wie jeder Heuschreckenschwarm, der auffrisst, was ihm in die Quere kommt. Zum Schluss ist dann der Schwarm selber dran. Nur die Eier überleben, und dann geht's im nächsten Jahr von vorne los. Die Felsengebirgsschrecke in Nordamerika hat es wirklich geschafft, sich selbst auszurotten. Hat Eier abgelegt, wo nichts mehr da war. Alles aufgefressen vorher. Ratzeputz! So funktioniert Evolution! Und alles, aber auch alles deutet für den, der hinguckt, darauf hin, dass Mensch und Heuschrecke sich hier nicht unterscheiden! Bei uns Menschen dauert's halt ein bisschen länger. Aber das Prinzip ist dasselbe.» Der Biologe sank zurück in seinen Stuhl.
Weichensteller, Printausgabe, S. 452
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